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(Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift »Unter Uns« als Teil einer Pro & Contra Frage zum Thema »Lobpreis«. Der entsprechende »Pro«-Artikel von Roland Werner ist ebenfalls hier nachzulesen)

Fürchterlich! Öde! Knicken! Wenn ergraute Bedenkenträger den mahnenden Finger heben und an etwas herummäkeln, was sich unwiderlegbar durchgesetzt hat. »Darf man in der Kirche Popmusik machen?« fragten beleidigte Kirchenmusiker in den späten 70er Jahren, als Popmusik längst d a s regierende Stilmittel missionarischer Jugendveranstaltungen war. »Sind E- Gitarre, Schlagzeug und freche Texte gottesdiensttauglich?« wurden wir von Gralshütern der Liturgie gefragt. Was uns egal sein konnte, wenn 900 Jugendliche in unseren Gottesdiensten saßen und 9 Omas in ihren.


Nein, nein. Warum sollte ausgerechnet ich die taktischen Fehler derjenigen wiederholen, die mich zu »Arno & Andreas«-Zeiten öffentlich zausten? Ein päpstlicher Bannfluch gegen Lobpreislieder verbietet sich mir schon deshalb, weil ich selbst welche geschrieben habe. Keins davon ist auch nur annähernd so bekannt, wie die Texte und Kompositionen meiner geschätzten Freunde und Kollegen Albert Frey oder Lothar Kosse, aber immerhin: Ein Mittäter kann schlecht »contra« sein. Zwei kritische Fragen würde ich trotzdem gerne stellen.


Thematische Engführung statt Bandbreite des Lebens?

Wenn ich in einem der »Ur-Liederbücher« des ejw blättere, in der ersten »Fontäne« von 1981, sind im Themenverzeichnis der 333 Titel neben den klassischen Gruppen wie »Morgen«, »Abend«, »Nachfolge« oder »Gemeinschaft« auch Suchbegriffe wie »Natur«, »Politische Lieder«, »Selbstannahme«, »Freude«, »Umdenken«, »Abendmahl«, »Dienst« und »Wiederkunft«, ja sogar »Lustige Lieder« (!) und »Geburtstagslieder« zu finden. Die Mehrheit dessen, was 20 Jahre später z. B. im Liederbuch »Feiert Jesus« abgedruckt ist, hat nur ein einziges Thema: Die Verehrung Gottes. Das liebevolle Verhältnis des Singenden zu Jesus. Der Jubel, der Dank, das Gebet. Schön. Nichts dagegen. Erst recht nichts gegen vertonte Bibelstellen entlang der Themen Schöpfung, Gebote, Menschwerdung Gottes, Gleichnisse Jesu, Gemeinde.

Aber: Über all das erfahre ich in einem einzigen Paul-Gerhardt-Choral mehr als in zehn »Worship-Hits«. Wegen der 400 Jahre alten barocken Sprache funktioniert die Informationsweitergabe durch Herrn Gerhardt nicht mehr. Stimmt. Aber: Wie viel Glaubensinformation, wie viel »Lehre« wird noch vermittelt, wenn lediglich die hingebungsvolle Verehrung des (mir de facto unbekannt bleibenden) Gottes im Mittelpunkt steht? Was Gott, was Jesus, was die Ethik seiner Gemeinde mit dem ganz konkreten Alltag des Singenden zu tun hat - das müssen Moderatoren und Prediger erklären. Die Liedtexte tun es nicht mehr. Wer heutzutage Gottesdienste gestalten soll zu alltagsrelevanten Themen wie »Krieg und Frieden«, »Geld und Geiz«, »Konflikt und Versöhnung«, »Ehe und Familie«, etc. - der könnte mangels geeigneter Lieder einer alten Pietistenkritik recht geben: »Denen geht's immer nur um ich- und-mein-Heiland, mein-Heiland-und-ich«. Deshalb meine Wurstfrauenfrage: Darf's auch etwas mehr sein?


Metaphorische Engführung statt Bandbreite des Gottesbildes?

Wenn ich im »Ur-Liederbuch« der Lobpreisbewegung blättere - »Rejoice in Jesus always« von den Jesus-People-Hippies der Calvary-Chapel in Kalifornien 1973 - dann ist in den ca. 125 Chorussen Gott hauptsächlich eins: Der menschgewordene Gott, dessen Barmherzigkeit sich im stellvertretenden Sterben Jesu am Kreuz und in seiner Auferstehung offenbart. Gott ist Schöpfer, Gesetzgeber, Geber geistlicher Gaben, Herr der Gemeinde, Richter.

Die Mehrheit dessen, was 30 Jahre später aus den Power-Point-Programmen flimmert, kennt nur noch zwei theologische Metaphern: Den König und den Vater. Das geschah wahrscheinlich in unschuldiger und bester Absicht: Die Engländer Graham Kendrick oder Noel Richards, auch Keith und Marion Warrington aus Neuseeland (ehemals zum britischen Empire gehörend ...), dürfen gerne ein ungebrochen positives Verhältnis zur Monarchie haben. Nur: Nach einer blutigen »Preußens Gloria« und einem weltkriegsvernarrten Vollidioten namens Kaiser Wilhelm (von einem späteren deutschen Herrscher ganz zu schweigen), kräuselt sich mir immer die Zunge, wenn ich pathetisch »Majestät, herrliche Majestät« singe und mir, »Herr, im Glanz Deiner Majestät«, Gott als eine Art Neuschwanstein-Royalisten vorstellen soll. Der Rückgriff auf die Königs- und Ehrentitel Gottes im Alten Testament (Psalmen!) hilft m. E. nur dann weiter, wenn sie christologisch übersetzt werden. Was wiederum bedeutet: Gott als endzeitlicher Weltenrichter. Der aber ist ja kein bayerischer König Ludwig im Hermelinmantel, sondern das Lamm auf dem Thron! Der Sieger über den Tod und das Böse trägt eine Dornenkrone und hat Nägelmale in den Händen!

Dass sich Gott, der glanzumflorte Herrscher, dann doch als liebevoller, heilender, tröstender Vater erweist, ist theologisch richtig und therapeutisch wichtig. Bloß: In manchen Liedern schlägt das metaphorische Pendel jetzt zum anderen Extrem aus und der Vater Jesu Christi, der unbegreifliche, oft verborgene und ewige Gott wird zum ganz persönlichen Kuschelteddy. Deshalb meine Journalistenfrage: Müsste mit beiden - König und Vater - nicht textlich sorgsamer umgegangen werden?

Nochmal: Dies ist das kooperative Contra eines partiellen Mittäters. Dass hunderttausende von Jugendlichen in genau diesen Lobpreisliedern ihre geistliche Heimat, ihren spirituellen Ausdruck finden, ist auch für mich ein Grund zur Dankbarkeit und obendrein, siehe oben, ein historisches Faktum.


Andreas Malessa Hörfunkjournalist und Fernsehmoderator bei SWR und DLR, Pastor im Bund Ev.-freikirchlicher Gemeinden, Songtexter ...

aus: Unter Uns. Mitteilungen des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg 3/ 2003, S.7 (dieser Artikel erschien im Rahmen einer Pro/ Contra Seite - der entsprechende Pro-Artikel von Roland Werner ist ebenfalls hier nachzulesen)

Autor: Andreas Malessa

Jahr: 2003

Update: 06.04.2006

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