Das Thema Anbetung ist schon früh in mein Leben getreten. Meine Eltern haben intensiv in der örtlichen Kirchengemeinde mitgearbeitet. Neben dem Kindergottesdienst, den mein Vater jahrelang leitete, wurden wir bald in den Erwachsenengottesdienst mitgenommen - meist zu besonderen Anlässen. Jeder Gottesdienst hatte im Eingangsteil die Anbetung des dreieinigen Got- tes: »Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.« Sicher- lich habe ich als Kind noch nicht die volle Bedeutung dieser Worte erfasst. Aber ich wurde davon geprägt. Das Erste, das wir Gott bringen sollen und müssen, ist Lob und Anbetung.


Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob ich heute schon die volle Bedeutung dieser Worte erfasst habe. Genauer gesagt, ich bin mir sicher, dass ich sie noch nicht erfasst habe. Gott wirklich Ehre zu geben, ist etwas, an dem ein Mensch lebenslang buchstabiert.

Später, als ich dann selbst Orgel spielte, schärfte sich mein Blick und mein Gehör für Liturgie. Schließlich musste ich als Organist wissen, wie und wann ich in die Tasten greifen und auf die Pedale treten musste. Meist gab es auch von Kirchengemeinde zu Kirchengemeinde leichte Unterschiede. Da wurde ich eher auf die technischen Aspekte der Liturgie getrimmt. Dennoch gab es auch da Augenblicke, wo ich das aus vollem Herzen mitsingen und nachvollziehen konnte: Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gaben!

Doch die Grenzen der mit Worten und Melodien vergangener Jahrhunderte ausgedrückten Anbetung Gottes wurden mir immer deutlicher. Meine Freun- de, die keine so starke kirchliche und christliche Prägung wie ich hatten, konnten damit kaum etwas anfangen. So hatten wir in der Jugendgruppe andere Formen gefunden, das Lob Gottes zu singen - mit Gitarren, Tamburi- nen. Trommeln und später auch mit Anbetungstänzen. Einer der Schlager damals war Psalm 100, den ich bestimmt über eintausendmal gesungen ha- ben muss: »Jauchzt dem Herrn, alle Welt, dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken ...« Unterbrochen wurde das im Stil der Zeit mit einem englischen Refrain: Hallelujah, Glory Hallelujah - dem Versmaß entsprechend viermal wiederholt. Ein richtiger Anbetungsrenner.

Diese häufig mit Gusto heruntergesungenen Songs waren eine unbeküm- merte Weise, Anbetung auszudrücken. Ich weiß noch, wie uns ein Pfarrer aus dem Duisburger Süden singen hörte - ich muss wohl 15 Jahre alt gewesen sein - und sagte: »Wo junge Leute so singen, da ist der Heilige Geist gegenwärtig.«

Und dennoch: Mir fehlte noch viel, um zu einem größeren Verständnis von persönlicher, tiefer Anbetung zu kommen. Eine Ahnung bekam ich bei einer Freizeit. Ich kam zufällig in einem Raum, in der ein Freund von mir war, der zu einer Gruppe der Jesus-People gehörte. Er kniete am Fenster mit erhobe- nen Armen und war vollständig in die Anbetung Gottes versunken. Er schien mich überhaupt nicht zu bemerken, so dass ich schnell wieder aus dem Raum verschwand, um ihn nicht zu stören. Dieser Freund war von einer solchen Liebe zu Gott erfüllt, wie ich sie nur selten bei jemandem gesehen habe. Drei Jahre später starb er bei einem Unfall. Ich sagte mir damals, dass er Jesus wohl so lieb gehabt hat, dass dieser ihn bald ganz bei sich haben woll- te. Für mich ist er ein Frühvollendeter, einer, der ganz früh das wirklich Wichtige gelernt hat: Gott anzubeten.

In den »Westminster Confessions«, der grundlegenden Bekenntnisschrift der anglikanischen Kirche, heißt es, dass wir dazu geschaffen sind, Gott anzubeten und uns für immer an ihm zu erfreuen - To worship God and to enjoy Him forever.

Anbetung ist deshalb das Wichtigste in unserem Leben. Es ist etwas, das wir nur ganz schwer lernen. Wir sind immer geneigt, etwas anderes als Gott anzubeten, seien es Dinge, Ideologien, Lebensentwürfe oder einfach wir selbst. Das erste Gebot zeigt uns, wie grundlegend Anbetung ist: »Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!«

Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wenn jemand meint, in einem bestimmten Gottesdienst habe es »zuviel Anbetung« gegeben. Niemand kann Gott »zuviel anbeten«.

Statt dessen sind wir in Sachen Anbetung und inniger Beziehung zu Gott im- mer Suchende, Lernende, Bettler, Menschen mit leeren Händen. Ich jeden- falls will in bezug auf Anbetung immer weiter lernen. In der Anbetung trete ich vor Gott, den ganz anderen. Ich richte meine Blicke - und Gefühle - von mir selbst weg auf ihn, der der wahre Gott ist. Ich strecke mich aus nach ihm, sinne nach über ihn. Über sein Wesen, seine Liebe, seine Kraft, seine Wirklichkeit, seine Ziele, seine Pläne.

Für mich ist Anbetung Gottes eine Quelle des Lebens. Ohne das Innehalten vor Gott, ohne die Anerkenntnis, dass er da ist, über allem, in allem, vor allem, nach allem, würde mein Leben flach und schal. Tage ohne Anbetung sind leere Tage, entleert ihres innersten Kernes. Dabei kommt es nicht auf die Form an. Lieder und Anbetungszeiten im Gottesdienst können helfen. Ob durch Stille oder Lautstärke, ob sitzend, knieend, stehend oder auf dem Angesicht liegend, ob mit erhobenen Händen oder tanzend, ob auf Deutsch oder Englisch, Lateinisch oder Arabisch, ob mit Psalmen oder mit der Gabe des Gebets in unbekannten Sprachen, ist letztlich zweitrangig. Entscheidend ist, ob ich mich wirklich hinwende - in Lob und Dankbarkeit, in Liebe und Vertrauen, Staunen und Ehrfurcht, in Kindlichkeit und Entschlossenheit - zu ihm, der war und ist und kommen wird.

In der Anbetung geht es nämlich nicht um den Weg, sondern um das Ziel. Nicht umd das Gefäß, sondern um das lebenschaffende Wasser, das darin transportiert wird.

Dabei sehe ich zwei Wege der Anbetung, die beide gleichermaßen wichtig sind. Der eine ist der Weg der Gewohnheit, der andere der Weg der Freiheit.
Der Weg der Gewohnheit lehrt uns, zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten die Gegenwart Gottes zu suchen und ihn dort anzubeten. Auf dem Weg der Gewohnheit finden sich die Gottesdienste, die regelmäßigen Gebetszeiten, die Disziplin der Anbetung in festen Formen.


Auf dem Weg der Freiheit aber lernen wir, mitten im Alltag, ungeplant, plötzlich aus einem inneren oder äußeren Impuls heraus Gott anzubeten. Ein Sonnenuntergang, ein schöner Baum, eine Wolkenformation, ein Kind, ein Gemälde - alles kann uns inspirieren dazu, durch das Geschaffene hindurch den Schöpfer zu sehen und einen Augenblick das Herz zur Anbetung zu öffnen.

Beides brauchen wir: Anbetung in einer Struktur, in einer Gruppe von Menschen, zu festen Zeiten und in sich wiederholenden Formen. Hier stelle ich mich fest in die Gemeinschaft derer hinein, die durch die Jahrhunderte hindurch Gott gelobt und ihm die Ehre gegeben haben.

Und wir brauchen die spontane Anbetung Gottes, die aus einem Augenblick heraus entsteht. Plötzlich steht die Zeit für eine Sekunde still. Plötzlich öffnet sich der Türspalt einen Millimeter weit, und wir sehen hinein in die Wirklichkeit Gottes, in der die vieltausendmal tausend Engel ihn ohne Unterlass prei- sen.

Gewohnheit und Freiheit, Form und Kreativität, Gemeinschaft und Alleinsein - überall können wir das Zentrum, Gott, suchen und finden.

Und es gibt noch einen dritten Weg der Anbetung. Das ist die Anbetung durch unser Tun und Sein. Einfach den Willen Gottes zu suchen und zu tun, ist Anbetung. Anbetung ohne Worte. Anbetung einfach dadurch, dass wir Gott sein lassen, was und wer er ist, und uns sein lassen, was wir vor ihm sind.

Anbetung ist nicht eine Frage der Zeiträume. Anbetung ist die Einstellung unseres Herzens. Die entscheidende Frage dabei ist, ob unser Herz in sich verkrümmt ist oder ob es ihm zugeneigt, ihm zugewendet ist.

Anbetung nähert sich dem Wunder, dass Gott erfassbar geworden ist. In Jesus ist er greifbar. Deshalb geschieht alle wahre Anbetung Gottes »durch« Jesus oder anders gesagt, »im Namen von« Jesus.

Anbetung Gottes ist immer Anbetung der Liebe, die sich in Jesus offenbart, wie Gerhard Tersteegen gesagt hat.

Es ist die Anbetung des Gottes, der gegenwärtig ist, des Gottes, der in der Mitte ist. Des Gottes, der die Quelle des Lebens ist.

Gott ist gegenwärtig,
Lasset uns anbeten
Und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitten,
Alles in uns schweige
Und sich innigst vor ihm beuge.

Gott anbeten lernt ein Mensch nur dadurch, dass er Gott anbetet. Deshalb schweige ich jetzt und mache nur noch Mut, diesen Weg der Anbetung zu suchen und zu gehen, und mit mir zu beten:

Herr lehre mich, dich anzubeten!

Autor: Roland Werner

Jahr: 2001

Update: 03.04.2006

weitere Infos:

   
© G. Baltes / T. Schröder

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.